Die Ausweitung der Volksverhetzung – öffentliches Billigen, Verleugnen oder Verharmlosen von Kriegsverbrechen
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Die bisherige Regelung der Volksverhetzung hat in ihrem Absatz 3 bisher unter Strafe gestellt, wenn jemand eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung nach § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches – insbesondere Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen -, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
Damit waren entsprechende Verhaltensweisen bisher lediglich strafbar, wenn sie sich auf Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus bezogen. Wurde z.B. auf protürkischen Demonstrationen in Deutschland hingegen der Genozit an den Armeniern geleugnet, stand dies nicht unter Strafe.
Mit dem neu geschaffenen § 130 Abs. 5 StGB hat der Gesetzgeber diese Regelungslücke geschlossen und stellt künftig in bestimmten Fällen auch unter Strafe, wenn Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen ganz gleich welcher Nation gebilligt, geleugnet oder „gröblich“ verharmlost werden.
Was ist der Hintergrund für die Gesetzesänderung bei der Volksverhetzung?
Im Dezember 2021 hat die europäische Kommission ein sog. „Vertragsverletzungsverfahren“ gegen Deutschland eingeleitet. Hintergrund dessen war, dass die Bundesrepublik einen europäischen Rahmenbeschluss (2008/913/JI), welcher die Mitgliedsstaaten zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verpflichtet, nicht bzw. nur unzulänglich umgesetzt hat. Insbesondere waren die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Vorschriften zu erlassen, welche das „öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Sinne der Artikel 6, 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs“, das gegen bestimmte Personen oder Personengruppe gerichtet ist, bestrafen. Dieser Verpflichtung kam die Bundesrepublik Deutschland nun mit der Erweiterung der Regelung zur Volksverhetzung in § 130 Abs. 5 StGB nach.
Abseits des Vertragsverletzungsverfahrens bleibt zu vermuten, dass die schnelle Umsetzung durch den Bundestag auch etwas mit den jüngsten Vorkommnissen im Russland-Ukraine-Konflikt und mit entsprechenden Demonstrationen auf deutschen Straßen zu tun haben könnte.
Welche Strafe droht bei der Volksverhetzung nach der neuen Regelung?
Wegen Volksverhetzung in der hier thematisierten Art und Weise droht zukünftig eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
Dass die angedrohte Strafe der bisherigen Volksverhetzung durch Billigung, Leugnung oder Verharmlosung bestimmter nationalsozialistischer Gewaltverbrechen hingegen bei Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe lag und auch weiterhin liegen wird, begründet der Gesetzgeber mit der besonderen Bedeutung des Nationalsozialismus für die deutsche Geschichte und der besonderen Verantwortung, die daraus erwächst.
Welches konkrete Verhalten ist künftig unter Strafe gestellt?
Der neu eingefühgte Absatz 5 von § 130 StGB lautet wie folgt:
„(5) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Handlung der in den §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art gegen eine der in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Personenmehrheiten oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.“
Welches Verhalten muss gebilligt, verleugnet oder verharmlost werden?
Bei dem zu billigenden, verleugnenden oder verharmlosenden Handlungen muss es sich um solche handeln, welche in den Paragraphen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches unter Strafe stehen. Dazu zählen im Einzelnen:
- Völkermord, § 6 VStGB
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 VStGB
- Kriegsverbrechen gegen Personen, § 8 VStGB
- Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte, § 9 VStGB
- Kriegsverbrechen gegen humanitäre Organisationen und Embleme, § 10 VStGB
- Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung, § 11 VStGB
- Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung, § 12 VstG.
Gegen welche Personen oder Personengruppen muss sich das Verhalten des Täters richten?
Die Billigung, Verleugnung und Verharmlosung der völkerstrafrechtlich sanktionierten Verbrechen muss sich gegen eine bestimmte Personengruppe oder eine bestimmte Einzelperson wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personengruppen richten. Das Gesetz verweist diesbezüglich auf die Auflistung in Absatz 1 Nr. 1. Danach muss sich das Verhalten gegen
- eine nationale,
- eine rassische,
- eine religiöse
- oder eine durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe handeln.
Strafbar wäre daher neben der „klassischen Auschwitzlüge“ – d.h. der Leugnung des Holocaust an den Juden – z.B. auch die Billigung des Genozids an den Armeniern durch die Osmanen, die Verleumdung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine oder das „gröbliche“ Verharmlosen von Kinder- und Frauenversklavung durch extremistische Milizen in Afrika.
Wann werden Kriegsverbrechen eigentlich gebilligt, verleugnet oder verharmlost?
In der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Tatvarianten grundsätzlich denen der bisherigen Volksverhetzung durch Billigung, Verleumdung oder Verharmlosung entsprechen.
Demnach versteht man unter einer Billigung das ausdrückliche oder aus sich heraus nach außen kundgegebene und verständliche Gutheißen der fraglichen Handlung („Der Völkermord an den Armeniern war richtig so. Da sind noch viel zu wenig gestorben!“).
Unter einem Leugnen ist hingegen das Bestreiten, Inabredestellen oder Verneinen der historischen Tatsache eines begangenen Verbrechens nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verstehen („Den Völkermord an den Armeniern gab es gar nicht. Das ist alles eine große Lüge!“).
Ein bedeutender Unterschied zu der bisherigen Regelung im Bezug auf Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus ergibt sich jedoch daraus, dass ein bloßes „Verharmlosen“ nicht ausreicht, sondern die Strafbarkeit ein „gröbliches Verharmlosen“ erfordert. Was konkret darunter zu verstehen ist, kann angesichts der Neuheit der Gesetzesänderung noch nicht zweifelsfrei beantwortet werden. Aus den erhöhten Anforderungen wird jedoch deutlich, dass das Herunterspielen des fraglichen Geschehens in tatsächlicher Hinsicht oder die Bagatellisierung oder Relativierung des Unrechtsgehalts der fraglichen Handlung in einer besonders starken oder verwerflichen Form geschehen muss („Hunderttausende?! Wenn überhaupt, dann sprechen wir hier wohl eher von ein paar hundert Armeniern!“).
Ist jedes Billigen, Leugnen oder Verharmlosen strafbar?
Nicht jedes billigende, leugnende oder gröblich verharmlosende Verhalten ist automatisch strafbar. Der Paragraph ist im Abschnitt des Strafgesetzbuches geregelt, welcher die „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“ normiert. Daher ist es für die Strafbarkeit auch erforderlich, dass das Täterverhalten dazu geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine der benannten Personen oder Personengruppen anzustacheln oder den öffentlichen Frieden zu stören. Weil es somit nur um die abstrakte Gefahr der Anstachelung geht, ist nicht erforderlich, dass Hass oder Gewalt tatsächlich auch erzeugt werden.
Ferner ist laut Gesetzeswortlaut erforderlich, dass die Äußerung entweder öffentlich oder auf einer Versammlung kundgetan wird.
Gibt es ein Beispiel für künftig unter Strafe gestelltes Verhalten?
Seit Beginn des Russland-Ukraine-Konflikts gibt es immer wieder einzelne Anzeichen für die Begehung von Kriegsverbrechen. So wurden im Frühjahr 2022 mehrere hundert tote Zivilisten in der zuvor von russischen Streitkräften kontrollierten ukrainischen Kleinstadt Butscha aufgefunden. Von den Leichen wiesen 419 Anzeichen von Hinrichtung und Folter auf. Wenn auf prorussischen Demonstrationen in Deutschland künftig die Kriegsverbrechen in Butscha gebilligt, geleugnet oder gröblich verharmlost werden, dann droht den Tätern – sollte die Existenz von Kriegsverbrechen gerichtlich beweisbar sein – eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
Unser Expertentipp beim Vorwurf der Volksverhetzung:
Aufgrund zahlreicher Änderungen von Regelungen, besteht stets schnell die Gefahr, den Überblick darüber zu verlieren, wann ein Verhalten im Einzelfall in einen strafrechtlich relevanten Bereich fällt, welche Folgen ein strafbares Verhalten haben kann und wie man am Besten damit umgeht, wenn ein Tatvorwurf im Raum steht.
Hier sind daher besondere Fachkenntnisse, wie wir sie Ihnen als Fachanwälte für Strafrecht bieten können, von Nöten. Nur wer den Überblick über die zahlreichen Vorschriften des Strafrechts behält, über hinreichende Berufserfahrung verfügt und immer auf dem aktuellsten Kenntnisstand ist, kann eine betroffene Person, ob Beschuldigter oder Geschädigter, bestmöglich beraten und vertreten. Dafür und für viele weitere Fragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung!
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