Gefährliche Körperverletzung mittels medizinischer Instrumente: auch bei medizinisch indizierten Heilbehandlungen?

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  • Ein Klassiker in der juristischen Ausbildung 


BGH, Beschluss vom 19.12.2023 – 4 StR 325/23 


Liebe Leserinnen und Leser,


ein klassisches Problem in der juristischen Ausbildung, mit dem die Studierenden bereits früh im Studium konfrontiert werden, ist die Frage, ob ein medizinisches Instrument als gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB zu qualifizieren ist. In unserer sich fortwährend entwickelnden Justiz sah sich der Bundesgerichtshof (BGH) im vergangenen Jahr (BGH, 19.12.2023 – 4 StR 325/23) erneut mit diesem Problem konfrontiert.


Die Frage der Strafverfolgung war in diesem Kontext eigentlich seit geraumer Zeit geklärt. Der 2. Strafsenat des BGH entschied bereits 1978, dass medizinische Instrumente in der Hand von Ärztinnen und Ärzten nicht als gefährliche Werkzeuge anzusehen sind. In seiner jüngsten Entscheidung wich nun der 4. Strafsenat des BGH von dieser langjährigen Rechtsprechung ab.


I. Die Entscheidung des BGH vom 19.12.2023 – 4 StR 325/23


Das Urteil des 2. Strafsenats des BGH, welches auf der damaligen Gesetzesfassung (§ 223a StGB a.F.) beruhte, stellte fest, dass das Werkzeug zu Angriffs- und Verteidigungszwecken eingesetzt werden muss, um als gefährliches Werkzeug qualifiziert zu werden. Die Literatur kritisierte seit diesem Urteil die beschränkende Auffassung als eine „Sonderdogmatik“ für Ärzte, da dadurch medizinische Utensilien in der Hand eines Arztes regelmäßig nicht als gefährliche Werkzeuge betrachtet werden könnten (BGH NJW 1978, 1206; MüKo-StGB/Hardt, 4. Auflage, 2021, § 224 Rn. 50 f.). Der 4. Strafsenat des BGH entschied nun, dass an diesem einschränkenden Erfordernis für die aktuelle Gesetzesfassung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB) nicht mehr festgehalten werden kann. Es gelten daher auch im Bereich des ärztlichen Handelns die allgemeinen Grundsätze, sodass ein Gegenstand als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren ist, wenn er nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art der Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen (BGH 19.12.2023 – 4 StR 325/23). Hierbei betonte der BGH ausdrücklich, dass die Entscheidung auf medizinisch nicht indizierte Behandlungen beschränkt ist (jedenfalls bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen, über die der Senat hier ausschließlich zu entscheiden hat). In diesem Fall ging es um das sogenannte Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, welches medizinisch nicht indizierte Eingriffe veranlasste.


II. Folgen für medizinisch indizierte Behandlungen


Obwohl der BGH eine Art „Hintertür“ für medizinisch indizierte Eingriffe offen ließ, indem er die Entscheidung ausdrücklich auf medizinisch nicht indizierte Eingriffe beschränkte, bestehen angesichts der Argumentation des BGH nur geringe Hoffnungen, dass diese Konstellation anders entschieden wird. Es ist naheliegend, dass auch für medizinisch indizierte Behandlungen die allgemeinen Grundsätze (objektive Beschaffenheit und konkrete Art der Verwendung) zur Anwendung kommen werden und auf das Kriterium des Mitteleinsatzes zu Angriffs- und Verteidigungszwecken verzichtet wird.


Der einzige Unterschied besteht in dem mit dem Eingriff verfolgten Heilzweck bzw. im Erfolgsfall in der Heilung des Patienten. Dies lässt sich jedoch dogmatisch nur schwer begründen. Die vom BGH angenommene erhöhte Gefährlichkeit (auch) des ärztlichen Handelns bliebe hinsichtlich der einzelnen Verletzungshandlungen trotz „Heilzwecks“ bestehen. Es wäre auch wenig konsistent, § 224 StGB etwa aus dem Grund abzulehnen, weil trotz einzelner Verletzungshandlungen der Patient insgesamt „geheilt“ bzw. sein Gesundheitszustand verbessert wird, solange diese Argumentation nicht dazu verwendet wird, den erfolgreichen oder lege artis (kunstgerecht) durchgeführten Heileingriff vom Grundtatbestand des § 223 StGB auszunehmen. Innerhalb des Grundtatbestands des § 223 StGB ist dieser Streit nämlich schon lange anhängig. Die Rechtsprechung bejaht jedoch seit jeher eine Körperverletzung und folgt damit nicht den Stimmen aus der Literatur, die eine tatbestandsmäßige Körperverletzung in den „Heilungsfällen“ ablehnen möchten.


III. Fazit


Nicht nur für angehende Jurastudierende wird dieser Streit neue Perspektiven eröffnen. Vielmehr wird diese Entscheidung des BGH weitreichende Auswirkungen auf die Praxis haben. Ärztinnen und Ärzte sehen sich nun, auch bei medizinisch indizierten Eingriffen, der Gefahr ausgesetzt, sich wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 StGB mit einem erheblich erhöhten Strafrahmen strafbar zu machen. Das Risiko lässt sich durch eine adäquate Verteidigung minimieren.


Die Erstellung dieses Beitrages wurde unterstützt durch unseren studentischen Mitarbeiter, Wim Brade.


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