GmbH-Geschäftsführer: Kommt eine Erweiterung der Sozialversicherungspflicht?
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Der Sozialversicherungsrechtliche Status von GmbH-Geschäftsführern ist seit Jahrzehnten Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen. Die Kernfrage lautet, ob der Geschäftsführer selbstständig tätig oder versicherungspflichtig beschäftigt ist. Die hierzu ergangenen Entscheidungen der Sozialgerichte durch alle Instanzen sind Legion. Seit 2018 hat dann das Bundessozialgericht in einer Reihe von Urteilen klare Linien gezogen und den rechtlichen Rahmen neu abgesteckt. Die wichtigsten Fragen schienen geklärt. Nun deuten aktuelle Entscheidungen allerdings darauf hin, dass es zu weiteren Verschärfungen kommen könnte.
Ausgangspunkt: Die Rechtsmacht
Die bisherige Rechtslage lässt sich wie folgt skizzieren: Fremdgeschäftsführer (d.h. Geschäftsführer ohne jegliche Kapitalbeteiligung) sind ausnahmslos versicherungspflichtig. Die frühere sog. „Kopf und Seele“-Rechtsprechung wurde verworfen. Vertrauensschutz wird insoweit nicht zugestanden. Geschäftsführer mit Kapitalbeteiligung (sog. Gesellschafter-Geschäftsführer) können dagegen im sozialversicherungsrechtlichen Sinne selbstständig sein. Voraussetzung ist allerdings, dass sie,
- entweder über die Kapitalmehrheit oder
- eine Beteiligung von 50 Prozent oder
- als Minderheitsgesellschafter über eine Sperrminorität verfügen. Diese Sperrminorität muss umfassend im Gesellschaftsvertrag vereinbart sein.
Der Gesellschaftsvertrag entscheidet
Zur Begründung stellt das BSG auf die Rechtsmacht ab, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben muss. Wörtlich:
„Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei Geschäftsführern einer GmbH aber in erster Linie danach, ob der Geschäftsführer nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen. (…..) Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 vH der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist dagegen grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50 vH der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine "unechte", auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln.“
BSG – Urteil vom 19.09.2019 - B 12 R 9/19 R, Randnummern 13 u.14
Keine Zusatzvereinbarungen
Für alle weiteren Konstellationen gilt, dass GmbH-Geschäftsführer versicherungspflichtig beschäftigt sind. Privatrechtliche bzw. privatschriftliche Zusatzvereinbarungen, worin sich die Gesellschafter abweichend von den Regelungen des Gesellschaftsvertrags zu einem einheitlichen Abstimmungsverhalten (z.B. Einstimmigkeit) verpflichten, sind für die Sozialversicherung unbeachtlich.
Tendenz zur Verschärfung der Sozialversicherungspflicht?
Überraschenderweise finden sich in aktuellen Entscheidungen des BSG jedoch Formulierungen, die darauf hindeuten könnten, dass selbst eine Sperrminorität im vorgenannten Sinne, die allein zur Verhinderung missliebiger Gesellschafterbeschlüsse dient, künftig nicht mehr ausreichen soll, eine Selbstständigkeit zu begründen. So heißt es in einem Urteil des 12. Senats vom 01.02.2022:
„Zwar ist in der Senatsrechtsprechung darauf hingewiesen worden, dass ein selbstständiger Gesellschafter-Geschäftsführer "zumindest" ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können müsse…….. Die Rechtsmacht, in der Gesellschafterversammlung allein Einfluss auf die gewöhnliche Geschäftsführung nehmen (oder diesen verhindern) zu können, reicht jedoch nicht, um die Geschicke des Unternehmens mitzubestimmen, und ändert nichts daran, dass Selbstständigkeit eine umfassende Gestaltungsmöglichkeit erfordert.“
BSG – U.v.01.02.2022 – B 12 KR 37/19 R, Randnummer 18
Diese Formulierung deutet darauf hin, dass das BSG zukünftig für die Anerkennung einer Selbstständigkeit eine aktive Einwirkungsmöglichkeit des (Minderheits-) Geschäftsführers, die über reine Verhinderungsmöglichkeiten hinausgeht, verlangen wird. In einem weiteren Urteil vom 13.12.2022 wird dieser Gedanke weiter zugespitzt:
Auch bei der statusrechtlichen Einordnung von Gesellschafter-Geschäftsführern (….) kommt es nicht nur auf dessen Weisungsfreiheit an. Vielmehr muss ein nicht abhängig beschäftigter Gesellschafter-Geschäftsführer in der Lage sein, auf die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend Einfluss zu nehmen und damit das unternehmerische Geschick der GmbH insgesamt wie ein Unternehmensinhaber zu lenken. (…..) Dafür braucht es grundsätzlich eine sich auf die gesamte Unternehmenstätigkeit erstreckende Gestaltungsmacht. Andernfalls ist der Gesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert.
BSG – Urteil vom 13.12.2022 – B 12 KR 16/20 R, Randnummer 22
Beide Entscheidungen fallen dadurch auf, dass die Kläger gar nicht Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminorität waren. Im erstgenannten Fall (Urteil vom 01.02.2022) ging es um einen Gesellschafter-Geschäftsführer mit schlichter Minderheitsbeteiligung, im zweitgenannten Fall war der Kläger nicht einmal Geschäftsführer, sondern mitarbeitender Gesellschafter. Das BSG hat die Fälle möglicherweise genutzt, um künftige Änderungen bzw. Verschärfungen der Rechtsprechung anzudeuten. In Kreisen sozialversicherungsrechtlich aktiver Juristen wird bereits die Vermutung geäußert, dass die Rechtsprechung künftig sogar auf eine allgemeine Sozialversicherungspflicht für alle GmbH-Geschäftsführer hinauslaufen könnte. Dahinter steckt die Überlegung, dass der im Geschäftsverkehr handelnde Unternehmer nicht der Geschäftsführer als natürliche Person, sondern die GmbH als juristische Person ist.
Statusklärung
Man wird die Entwicklung dieser Rechtsprechung genau beobachten müssen. Es wird auch interessant sein, zu beobachten, wie sich die Sozialversicherungsträger hierzu positionieren. Aktuell empfiehlt sich zur Beseitigung von Rechtsunsicherheiten die Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status auf dem Wege des sog. Anfrageverfahrens bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin oder im Rahmen von Betriebsprüfungen.
Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.
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