Keine Kündigung eines BR-Mitgliedes, wenn vor einer Entwicklung „wie vor 70 Jahren“ gewarnt wird
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Mitglieder des Betriebsrates dürfen im Betrieb ihre Meinung kundtun, solange sie dabei den Rahmen zur strafbaren Ehrverletzung nicht überschreiten. Das wurde nun erneut durch das LAG Düsseldorf bestätigt. Dazu folgender Sachverhalt:
Die Arbeitgeberin betreibt ein großes Alten- und Pflegeheim. Seit vielen Jahren gibt es dort schon einen Betriebsrat. Das Betriebsratsmitglied ist seit 1994 als Altenpfleger im Nachtdienst beschäftigt, dem Betriebsrat gehört er seit 20 Jahren an. In einer an den Einrichtungsleister gerichteten E-Mail vom 21. April 2015 schrieb das BR-Mitglied u.a. Folgendes:
„(…) wie ich von mehreren Mitarbeitern erfahren habe, beabsichtigen Sie (…) eine Überwachungskontrolle (…) durchzuführen. Es soll damit festgestellt werden, wie viel Zeit der Mitarbeiter benötigt, bis er dem Klingelruf des Mitarbeiters nachkommt. Hier findet eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers statt, die einen dringlichen Handlungsbedarf des Betriebsrats vorsieht gemäß einer einstweiligen Verfügung. Die Überwachung in einem totalitären Regime haben wir vor 70 Jahren hinter uns gebracht, auch wenn hier im Kleineren gehandelt wird, so ist dies der Anfang von dem was dann irgendwann aus dem Ruder laufen kann. (…)“
Als die Geschäftsführung Kenntnis von dieser E-Mail erhielt, beantragte sie beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung; der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung zunächst beim Arbeitsgericht, später beim Landesarbeitsgericht. In beiden Instanzen hätte die Arbeitgeberin allerdings keinen Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf begründete das wie folgt:
Der Betriebsrat habe zu Recht die Zustimmung zur Kündigung verweigert, da kein Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung vorliege. Zwar sei es zutreffend, dass ein Vergleich der betrieblichen Verhältnisse mit dem nationalsozialistischen Regime regelmäßig zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtige; hier habe das Betriebsratsmitglied aber lediglich vor eine ähnliche Entwicklung gewarnt und den Betrieb daher allenfalls mit der Weimarer Republik verglichen. Es ginge, so das Landesarbeitsgericht, dem Betriebsratsmitglied vielmehr darum, dass man Entwicklungen von Beginn an beobachten müsse, bevor „etwas aus dem Ruder laufe“. Eine solche Äußerung sei aber von der Meinungsfreiheit geschützt, ein Kündigungsgrund liege nicht vor.
Diese Entscheidung ist zu begrüßen, da sie das Recht von Betriebsratsmitgliedern auf Meinungsfreiheit schützt. Betriebsratsmitglieder müssen die Möglichkeit haben, auf eventuelle Fehlentwicklungen auch mit deutlichen Worten hinzuweisen. Die Grenze der Meinungsfreiheit ist nur dann überschritten, wenn eine strafbare Ehrverletzung vorliegt. Der Vergleich der betrieblichen Verhältnisse mit dem NS-Regime stellt eine Ehrverletzung dar, weil man dem Betrieb damit jegliche Menschlichkeit abspricht und die Verhältnisse mit einer Willkürherrschaft gleichsetzt. Gleichwohl muss man sagen, dass bei der Auslegung der Worte des Betriebsratsmitgliedes historisch ungenau gearbeitet wurde: Denn wenn man im Jahr 2015 auf Verhältnisse wie vor 70 Jahren hinweist, dann befindet man sich im Jahr 1945, dem letzten Herrschaftsjahr der Hitler-Diktatur. Dennoch: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist bei der Deutung bestimmter Worte eine Auslegungsvariante zu wählen, die dem Recht auf Meinungsfreiheit am ehesten gerecht wird.
Quelle: Pressemittelung des LAG Düsseldorf vom 4. März 2016
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