Völkerstrafrecht – internationales Strafrecht – International Criminal Court Den Haag
- 5 Minuten Lesezeit
Mangels einheitlicher internationaler Strafgesetze gibt es (noch) kein echtes supranationales Strafrecht („international Criminal Law“, „Droit pénal international“).
Europäische Strafgesetze entfalten in der Regel keine unmittelbare individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit, zumindest nicht ohne Transformation in nationales Recht.
Es lohnt also der vertiefte Blick in bestehendes Völkerstrafrecht, um sich der Idee oder dem Vorboten eines Internationalen Strafrechts anzunähern.
Seitdem natürliche Personen, nicht nur Staaten, Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten sind, entwickelt sich das Völkerstrafrecht:
Dem Völkerstrafrecht unterliegen alle universell geltenden Normen, die eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortung von Individuen festlegen. Parallel dazu werden auch die Begriffe „völkerrechtliches Strafrecht“, „Verbrechen gegen das Völkerrecht“, oder „materielles internationales Strafrecht“ verwendet.
1. Legitimation des Völkerstrafrechts und Festlegung durch das Völkerstrafgesetzbuch (ab 2002)
Das Völkerstrafrecht schützt den „Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt“ (peace, security and wellbeing of the World“, paix, la sécurité et le bien du monde).
Völkerrechtliche Tatbestände entstammen der Völkerrechtsordnung, umschreiben individuell vorwerfbares Unrecht und drohen als Strafe Rechtsfolgen an (wie wir es auch aus dem nationalen Strafrecht kennen).
Anerkannte Völkerrechtsverbrechen sind die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Völkermord und das Aggressionsverbrechen als sog. „Kernverbrechen“ („core crimes“, „international crimes“).
Dies sind die in den §§ 6 ff des Völkerstrafgesetzbuches benannten Taten: Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, d. h. nach § 8 VStGB Kriegsverbrechen gegen Personen, § 9 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte, § 10, Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen und Embleme, § 11 VStGB, Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung, § 12 VStGB, Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung, § 13 VStGB, Verbrechen der Aggression, § 14 VStGB, Verletzung der Aufsichtspflicht und § 15 VStGB, Unterlassen der Meldung einer Straftat als sonstige Straftaten.
Das Handeln auf Befehl oder Anordnung, die Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter regeln – entlang anderer Tatmodalitäten – die §§ 1 – 5 des VStGB.
Noch nicht ganz klar ist, ob die obigen Kernstraftaten in Zukunft auch Folgendes umfassen sollen: Betäubungsmittelhandel und Terrorismus, Straftaten also, die in ihrer Begehungsform über die nationalen Grenzen hinweg verwirklicht werden und mit bestehenden Kernstraftaten etwa zur Finanzierung von Armeen etc. verwoben sind und deren Ahndung auch daher schon Anliegen der Völkergemeinschaft sein soll.
Die Verwirklichung obiger, bislang bestehender Straftatbestände bedeutet immer einen Angriff auf fundamentale Interessen der Völkergemeinschaft, rückt diese in eine globale Dimension und macht sie damit zu Völkerrechtsverbrechen. Die Strafverfolgung benannter, besonders schwerer Menschenrechtsverletzungen dient daher auch dem Schutz der Menschenrechte auf internationaler Ebene.
In Kenntnis dessen, dass jedes Völkerrechtsverbrechen letztlich auf das Verhalten eines Individuums zurückzuführen ist und strafrechtliche Schuld immer eine persönliche Schuld darstellt, soll verhindert werden, dass Individuen, wenn sie als staatliche Organe oder im Auftrag eines Organes oder im Auftrag eines Staates gehandelt haben, sich hinter dem Schutzschild der Immunität oder staatlicher Souveränität verbergen können. Dieser Ansatz ist ein Kernanliegen der Prozesse.
2. Justiziabilität vor dem Internationalen Strafgerichtshof ICC The Hague
Selbstredend nützt die Androhung erheblicher Strafen für individuelles, vorwerfbares Verhalten per Völkerstrafgesetzbuch nichts, wenn es kein zur Erkenntnis und Wahrheitsfindung und zum Schuldspruch führendes, völkerrechtlich legitimierendes Gericht (Weltstrafgericht) dazu gibt.
Solange die Völkergemeinschaft nicht über eine eigene Strafgerichtsbarkeit verfügte, war Völkerstrafrecht Sache der nationalen Staaten, die ihre Zuständigkeit durch innerstaatlichen Rechtsakt erklärten („Indirect Enforcement Model“). Eine Strafverfolgung durch internationale Organe („Direct Enforcement Model“) fand in historischen Ausnahmesituationen statt, so z. B. bei den Internationalen Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio oder bei der Errichtung von Internationalen Ad-hoc-Strafgerichtshöfen zur Verfolgung schwerer Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (1993) bzw. in Ruanda (1995).
Diese internationalen Strafgerichte urteilten auf Grundlage von Straftatbeständen, die in ihren jeweiligen Statuen geregelt waren und daher Teil des Völkerrechts sind.
Während für die Bearbeitung der Verbrechen und Massaker im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda noch Ad-hoc-Gerichte auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta als Maßnahme „zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ etabliert werden, bot das sog. IStGH-Statut (Statut von Rom), durch welches sich 120 Unterzeichnerstaaten die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes (Weltgerichtshof, Friedenspalast) mit Sitz in Den Haag (Niederlande) beschlossen haben, eine zukunftsweisende Möglichkeit zur Aburteilung von Völkerrechtsverbrechen.
Allein 7 Staaten (USA, Israel, Irak, Libyen, Jemen und Katar) lehnten das Statut ab, 21 Staaten enthielten sich der Stimme.
Der Internationale Strafgerichtshof ist zuständig für die Aburteilung von Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression, die seit dem 01.07.2002 auf dem Gebiet eines Vertragsstaates oder durch Angehörige eines Vertragsstaates begangen worden sind.
Das Statut des ICC umfasst 13 Teile mit 128 Artikeln. Darunter werden geregelt: die Gerichtsorganisation, die Straftatbestände, allgemeine Strafrechtsprinzipien, das Strafverfahrensrecht (rules on prodedure and evidence) sowie die Zusammenarbeit der Staaten mit dem ICC bei Strafverfahren und Strafvollstreckung.
Vor dem ICC haben sich Individuen für solche Verbrechen zu verantworten, die nicht nur die unmittelbaren Opfer selbst, sondern die internationale Staatengemeinschaft als solche berühren, weil diese Verbrechen die Grundlagen eines friedlichen und menschenwürdigen Zusammenlebens der Menschen innerhalb ihrer jeweiligen Volksgemeinschaft sowie der Völker untereinander untergraben.
Das Statut von Rom ist daher auf die Wahrung des Weltfriedens zugeschnitten und normiert in Art. 5 die 4 Kerntatbestände des Völkerstrafrechts.
Hervorzuheben sind hier etwa das spezielle „nullum crimen sine lege“-Prinzip des Art. 22 des Statuts, wonach der ICC nur auf Grundlage der im Statut festgelegten Tatbestände verurteilen darf, Analogien zulasten Angeklagter immer unzulässig sind.
Die Weiterentwicklung der „general principles“ kommt einem Allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts sehr nahe.
3. Wer wird wann vom ICC angeklagt?
Die Zuständigkeit „ratio personae“, also wer als Person der Strafgewalt des ICC unterliegt, war lange Zeit umstritten. Mittlerweile ist der ICC dann immer zuständig, wenn der Tatortstaat oder der Heimatstaat des Täters das Statut unterschrieben haben (Art. 5, 12 UICC Statut).
Demnach können auch Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten vor dem ICC angeklagt werden, wenn sie eine Völkerstraftat auf dem Gebiet eines Vertragsstaates begangen haben.
Weiter kann der UN-Sicherheitsrat ein Verfahren auslösen, bei Verfolgung von Nichtvertragsstaatsangehörigen, die verdächtig sind, in einen Nichtvertragsstaat Völkerrechtsverbrechen begangen zu haben („sicherheitsratsgestützte Zuständigkeit“).
4. Wie wird am ICC Recht durchgesetzt?
Das ICC-Statut umfasst zweifache Durchsetzung des Völkerstrafrechts (direkte und indirekte).
Einerseits eröffnet der ICC den Weg für eine Aburteilung völkerstrafrechtlicher Delikte auf internationaler Ebene, andererseits eröffnet der ICC den Vertragsstaaten die eigene Durchsetzung des Völkerstrafrechts. Der ICC ergänzt also die nationale Gerichtsbarkeit und ersetzt sie nicht etwa.
Dieses Ziel wird erreicht durch die Festsetzung der sog. Komplementarität, wonach die nationale Strafgerichtsbarkeit stets Vorrang vor der des Weltgerichtshofes hat (Art. 17-19 Art ICC). Der ICC darf seine Strafgewalt aber dann ausüben, wenn ein Vertragsstaat nicht fähig oder willens ist, die Strafverfolgung ernsthaft zu betreiben (Art 17 ICC Statut).
Uniwillig ist ein Staat immer dann, wenn die Strafverfolgung nur zum Schein erfolgt, wenn das Verfahren nicht unabhängig und/oder unparteiisch geführt wird und sich mit dem wirklichen Willen der Strafverfolgung nicht vereinbaren lässt.
Unfähigkeit zur Strafverfolgung liegt indes vor, wenn das nationale Justizsystem zusammengebrochen ist oder nicht zur Verfügung steht und daher eine ordnungsgemäße Strafverfolgung nicht möglich ist. Dabei liegt die Entscheidung darüber, ob der jeweilige Staat ernsthaft verfolgen kann oder will, beim ICC selbst.
RA D. Lehnert
Artikel teilen: