Wiesn-Gaudi mit Folgen: eine E-Scooterfahrt nach Maß.

  • 4 Minuten Lesezeit

Erneut steigen auf der Theresienwiese in München wieder die Wiesn. Eine ausgelassene Stimmung, eine zünftige Brotzeit und ein Paar (Radler-)Maß lassen den Volksfestabend hochleben. Irgendwann ist jeder schöne Abend vorbei. Doch statt sich mit tausenden anderen Gästen in die überfüllte U6 am Goetheplatz zu zwängen oder in eines der teuren Taxis oder noch teueren Rikschas zu steigen - fällt der Blick des müden Wiesn-Gastes auf einen quietschgrünen E-Scooter (Roller mit Motor) am Straßenrand.

Ein paar Daumenbewegungen auf dem Handy - schon ist der Roller für eine coole Abendfahrt nach Hause gebucht. Aufgestiegen, angerollt, Schub gegeben und -
STOP! 3 Polizisten halten den Rollerfahrer an - allgemeine Verkehrskontrolle!



Sidekick
In einer solchen Situation steigen Sie ruhig vom Roller, pöbeln nicht herum und vorallem: machen nicht freiwillig einen Atemalkoholtest. Der Test ist meistens der "Türöffner" zur Blutentnahme - nur die Blutentnahme ist im Strafverfahren als Beweismittel anerkannt. Zeigen Sie keine Freiwilligkeit  - erst wenn eine Blutentnahme angeordnet wird, lassen Sie das über sich ergehen. Ob die Anordnung rechtmäßig war, wird der Verteidiger im Anschluss prüfen. Falls sie es nicht war, ist das Beweismittel "Blutentnahme" in der Regel nicht verwertbar.

"Freiwillig nicht mitwirken" wird Ihnen schwer fallen - denn die Polizei wird Sie vor Ort überreden wollen und Ihnen Angst machen. Bleiben Sie ruhig. Das Kind ist - wenn - sowieso schon in den Brunnen gefallen. Jetzt gilt es, durch vermeintlich als sozial richtigverstandenes Verhalten nicht selbst an der eigenen Strafverfolgung mitzuwirken.



Was nach müden Bunte-Zeitschrift-Rechtstipps klingt, ist bange Realität in München. Die bayrische Landeshauptstadt hat bereits 2019, als die Miet-E-Scooter an den öffentlichen Straßen wie Pilze aus dem Boden schossen, begonnen, nach dem Wiesn-Abend fleissig Rollerfahrer*innen zu kontrollieren. Und das passiert nicht nur in Bayern: in ganz Deutschland haben die Kommunen den Rollerfahrern den Kampf angesagt.

E-Scooter ist ein Kraftfahrzeug

Der Grund: der E-Scooter ist nach der Elektrokleinstfahrzeuge-VO (eKFV) ein Kraftfahrzeug mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von maximal 20 km/h. Und das Führen von Kraftfahrzeugen und der Konsum von Alkohol vertragen sich nicht:

Wer ein Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille und mehr führt, ist unwiderlegbar fahruntüchtig und macht sich der Trunkenheit im Verkehr strafbar (§ 316 StGB). Weil der E-Scooter ein Kraftfahrzeug ist, gilt diese Grenze - so die Gerichte - auch für den Rollerfahrer. Und das gilt auch, wenn kein Unfall geschah oder die Fahrt erst sehr kurz dauerte. 

Selbst ein Promillewert von 0,3 bis 1,0 führt auch dann zur Strafbarkeit, wenn man typische alkoholbedingte Ausfallerscheinungen auf dem Roller zeigt - Schlängellinien oder eine unsichere Fahrweise ggf. sogar mit Sturz. Die Folge: bei Ersttätern eine empfindliche Geldstrafe zwischen 500 - 5.000 EUR (hängt vom Einkommen ab). Wiederholungstäter können sogar mit Freiheitsstrafen rechnen.

Entziehung der Fahrerlaubnis

Nach § 69 StGB kann das Gericht neben der erwähnten Geld- oder Gefängnisstrafe als sogenannte Maßregel (quasi: Schutz der Bevölkerung) die Fahrerlaubnis entziehen. Denn eine nach § 316 StGB begangene Tat mit einem Kraftfahrzeug ist ein sog. Regelfall in § 69 StGB, durch den sich ein Mensch als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges zeigt. 

Richtig gelesen: kein Fahrverbot, sondern: Verlust der Fahrerlaubnis.

Wer Alkohol in bestimmten Mengen trinkt, hat den Lappen nicht verdient.
Denn er ist eine Gefahr für Andere.

So richtig diese These ist, so schwierig ist die Anwendung des Gesetzes. Denn der Gesetzgeber hat bei der Einführung des § 69 StGB klassische Kraftfahrzeuge vor Augen gehabt: das kraftstoffbetriebene Moped, Motorrad, Auto, LKW usw. Der E-Scooter als Roller gleicht verglichen zu Moped und Auto eher einem Fahrrad, zumal die Höchstgeschwindigkeit auch die einem Fahrrad gleichkommt. Gleiches gilt für die Entwicklung der o.g. Promillegrenzen - diese sind auf "klassische" Kraftfahrzeuge bezogen, nicht dem eher einem Fahrrad ähnelnden E-Scooter. Auf einem Fahrrad nämlich liegt eine Trunkenheitsfahrt "erst" ab 1,6 Promille vor (ohne Ausfallerscheinungen). 

Bei der Fahrradfahrt das Entscheidende: die Trunkenheitsfahrt auf dem Fahrrad führt im Strafverfahren nicht zur Entziehung der Fahrerlaubnis, weil § 69 StGB nur auf KFZ Anwendung findet.

Also E-Scooter doch kein Kraftfahrzeug im Sinne des Strafgesetzbuches?

Die Rechtslage ist ein großer Flickenteppich. Im Süden und Norden orientieren sich die Gerichte am Wortlaut, im mittleren Teil der Republik ist man da "beweglicher"; aber auch nicht überall. 

Ein Beispiel: das Landgericht Leipzig urteilte am 24.06.2022, dass eine Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter jedenfalls keinen Fall des § 69 StGB darstellt und damit die Fahrerlaubnis nicht "berührt". Das sah knapp 3 Wochen zuvor das Kammergericht in Berlin am 31.05.2022 ganz anders (ebenso wie zB. das Landgericht Stuttgart bereits im Jahr 2021), welches sowohl die 1,1 Promille - Grenze als auch die Anwendbarkeit des § 69 StGB für E-Scooterfahrten bejahte. Und das alles, nachdem der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 02.03.2021 anlässlicher einer Revision gegen ein Strafurteil leise Zweifel äußerte, ob die 1,1 Promillegrenze so einfach auf E-Scooter übertragen werden kann. Die Beispiele können fortgeführt werden; das eine Amtsgericht sagt ja, das andere Amtsgericht sagt nein. 

Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Hintertür

Doch selbst wenn die Strafbarkeit in Frage steht: 

Ab einem Promillewert von 1,6 wird auch der Rollerfahrer zur MPU ("Idiotentest") durch die für ihn zuständige Führerscheinbehörde geschickt. Sofern der Rollerfahrer nicht zuvor einen Abstinenznachweis über mindestens 6-12 Monate vorlegen kann, wird er die MPU nicht bestehen. Diese Situation ist in der Praxis fast der Regelfall. Was wiederum heißt: Entziehung der Fahrerlaubnis für mindestens 6 Monate.

Und: 

Im Falle eines Unfalls mit dem E-Scooter droht bei Alkoholisierung ein Regress des Rollerversicherers mit Kosten bis zu 5.000 EUR.

Daher: don`t drink and drive. 

Foto(s): P. Lange (Leipzig) - keine Werbung für den abgebildeten Scootervermieter. Der Scooter stand einfach so herum.

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Philipp Lange

Beiträge zum Thema