Corona-Geschäftsschließungen: Anspruch auf volle Entschädigung vom Staat?

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Die durch die Corona-Verordnungen der Bundesländer geregelten Geschäftsschließungen sind fast durchgängig rechtmäßig, folgt man der bisherigen Rechtsprechung (vgl. hierzu zuletzt den Beschluss des Oberverwaltungsgericht Münster (OVG NRW) vom 06.04.2020, Aktenzeichen 13 B 398/20.NE.

Was aber folgt daraus finanziell für die betroffenen Geschäfte?

Müssen Betriebe dies -abgesehen von den relativ geringen staatlichen Rettungspaketen (zB Soforthilfe, Bürgschaft und KfW-Darlehen), die den tatsächlichen Schaden oft nicht ansatzweise decken- entschädigungslos hinnehmen?

Bleiben die Unternehmer auf ihren vielfach zur Existenzbedrohung führenden Umsatzeinbußen bzw. auf ihrem Verdienstausfall sitzen?

I. Mögliche Anspruchsgrundlagen für eine Voll-Entschädigung

Auch wenn die Verantwortlichen in Bund und Ländern dieses Thema tunlichst kleinhalten bzw. dies unter Verweis auf die angeblich klare Rechtslage und auf die gewährten Liquiditätshilfen kategorisch „vom Tisch fegen“ wollen, spricht viel dafür, dass durchaus weitergehende, vollen Schadenausgleich gewährende Ansprüche in Betracht kommen.

Insoweit sind verschiedene Anspruchsgrundlagen zu erwägen:

1. Kein Anspruch aus Amtshaftung

Relativ klar ist zunächst, dass Ansprüche aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB iVm Artikel 34 GG ausscheiden. Insoweit fehlt es bereits an einer (stets rechtswidrigen) Amtspflichtverletzung.

Denn die durch Verordnung oder Allgemeinverfügung des jeweiligen Bundeslandes angeordneten Maßnahmen, die Betriebsschließung, zB gemäß Corona-Schutzverordnung (CoronaSchVO) in NRW, waren und sind (jedenfalls für ihre derzeitige Gültigkeitsdauer bis 19.04.2020) rechtmäßig.

Die Rechtsprechung sieht für den massiven Eingriff in die Unternehmerfreiheit (Artikel 12, 14 GG) insbesondere im bundesweit gültigen Infektionsschutzgesetz (IFSG) hinreichende Grundlage und hält die derzeitigen Schließungen „zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens“ für erforderlich, angemessen und verhältnismäßig.

Auch wenn man dies mit guten Gründen bereits jetzt anders sehen, insbesondere eine bessere, einzelfallbezogene Ausdifferenzierung verlangen könnte, kommt man um diesen Fakt nicht umhin.

Diesbezüglich hilft auch nicht weiter, dass die Rechtsprechung sich mit der Rechtfertigung der Geschäftsschließung schwertut, wie aus der vorzitierten OVG-Entscheidung folgt, die "eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht der getroffenen Maßnahmen" anmahnt.

2. Anspruch unmittelbar aus Gesetz?

Ein Entschädigungsanspruch könnte sich, die Rechtmäßigkeit der Schließungen aufgrund des Vorgesagten unterstellt, unmittelbar aus IFSG ergeben.

Nicht in Betracht kommt -für „Nichtstörer“ (Unternehmer, die nicht „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtige“, „Krankheitsverdächtige“ oder „sonstige Träger von Krankheitserregern“ sind) eine Berufung auf § 56 IFSG, der Anspruch auf Entschädigung für Verdienstausfall und grds. auf Ersatz nicht gedeckter Betriebsausgaben gewährt.

Hingegen kommt eine Entschädigung gemäß § 65 IFSG in Betracht.

Insoweit ist indes zu unterscheiden zwischen Maßnahmen der Verhütung (Risikovorsorge, 4. Abschnitt §§ 16, 17 IFSG, hier: Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Coronavirus) und der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (Gefahrenabwehr, 5. Abschnitt, §§ 28, 31 und 32 IFSG): denn nur erstere, also Maßnahmen der bloßen Vorsorge, unterfallen dem Wortlaut nach der Entschädigungsregelung des § 65 Abs. 1 IFSG.

Hier betritt man schwieriges juristisches Terrain:

Auf den ersten Blick sind die Geschäftsschließungen Maßnahmen bloßer Vorsorge, da die Inhaber bzw. Ladenbesitzer zumeist selbst keine „Störer“ im oben erläuterten Sinne sind.

Jedoch wird die Einschlägigkeit dieser Vorschrift im Fall der corona-bedingten Geschäftsschließung von renommierter Seite -durch den Staatshaftungsrechtler Prof. Matthias Cornils- bezweifelt mit v.a. historischer Begründung (Verweis auf das frühere Bundesseuchengesetz und den begrenzten Charakter des Auffangtatbestands: er soll keine „exorbitanten Entschädigungsansprüche“ an den Staat auslösen, vgl. https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet).

Ob diese Argumentation -auch mit dem Wesen des Staatshaftungsrecht, das „grundsätzlich nur auf den Ausgleich überschaubarer, eher `punktueller` Schadenslagen“ ziele und „kein Instrument gesamtgesellschaftlicher Schadensversicherung oder Sozialleistung“ sei (so Cornils aaO), derart unanfechtbar ist, dass diese die kategorische Verneinung der Ansprüche der Geschäftsinhaber (die immerhin nicht die „Breite Masse“ der Bevölkerung bilden) rechtfertigt, erscheint fraglich.

Die Gegenargumentation, demnach Stützung auf die Anspruchsgrundlage des § 65 IFSG als die naheliegendste, ja „einfachste Variante“, erscheint gut vertretbar, so dass Kläger, die dahingehendes Prozessrisiko zu tragen bereit sind, damit gerichtlich „ins Feld ziehen“ könnten.

Es muss dann aber mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass das angerufene Gericht der Argumentation Cornils folgt, so dass hilfsweise die alternativ genannten Anspruchsgrundlage/n herangezogen werden sollten, um das Prozessrisiko zu verringern.

3. Anspruch aus Richterrecht?

Das Staatshaftungsrecht kennt eine Reihe anderer, nicht gesetzlich normierter Ansprüche auf Entschädigung bzw. mit entschädigender Wirkung. Diese wurden durch richterliche Rechtsfortbildung aus dem Rechtsgedanken der historischen §§ 74, 75 ALR (Preußisches Allgemeines Landrecht) entwickelt und sind heute allgemein anerkannt.

Diese dürften letztlich wohl allesamt nicht zum Tragen kommen und sollen daher nur kurz dahin behandelt werden, woran sie nach hiesiger Auffassung voraussichtlich scheitern.

3.1. Folgenbeseitigungsanspruch

Unterschieden wird insoweit zwischen dem Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch (bei einem Verwaltungsakt) und dem allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch (bei einem Realakt).

Der Anspruch scheitert vorliegend daran, dass die Corona-Verordnungen weder Verwaltungsakte noch Realakte sind, sondern Legislativakte, und letztere können keinen Folgenbeseitigungsanspruch begründen.

Etwas anderes gilt allerdings in den Bundesländern (zB Bayern), in denen die Schließung durch Allgemeinverfügung (also Verwaltungsakt) angeordnet wurde. Hier dürfte der Anspruch dann an der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung scheitern, da nach vorzitierter Rechtsprechung gerade eine Duldungspflicht der Geschäftsinhaber besteht.

3.2. Enteignungsgleicher Eingriff

Die Schließungen beinhalten einen hoheitlichen Eingriff in eine durch Artikel 14 GG geschützte Rechtsposition, und zwar in den „Eingerichteten und Ausgeübten Gewerbebetrieb“.

Da die infrage stehende hoheitliche Maßnahme gemäß vorzitierter Rechtsprechung aber nicht rechtswidrig ist, scheidet auch dieser Anspruch aus.

3.3. Enteignender Eingriff

Dieser Anspruch ist -wie hier für rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen- quasi das „Spiegelbild“ zum Enteignungsgleichen Eingriff, so dass dieser ernsthaft in Betracht kommt.

Indes muss sich für einen Entschädigungsanspruch der Schadeneintritt als „Unvorhergesehene atypische Nebenfolge“ der hoheitlichen Maßnahme darstellen, was bei einem Umsatz- bzw. Verdienstausfallschaden durch Betriebsschließung kaum bejaht werden kann. Auch ein solcher Anspruch scheidet daher aus.

3.4. Allgemeiner Aufopferungsanspruch

Dieser Anspruch scheidet bereits deshalb aus, weil er nur für solche Rechtspositionen gewährt wird, die nicht durch Artikel 14 GG geschützt sind (zB Leben, körperliche Unversehrtheit).

4. Anspruch aus Polizei- und Ordnungsrecht („Nichtstörerhaftung“)?

Hingegen kommt ein Entschädigungsanspruch aus Polizei- und Ordnungsrecht („Nichtstörerhaftung“) in Betracht, zB nach § 39 Abs. 1 lit. a OBG NRW (vergleichbare Regelungen existieren in anderen Bundesländern).

Die betroffenen Geschäftsinhaber sind wie oben bereits dargelegt (seuchenrechtliche) „Nichtstörer“ im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts, hier im Sinne des IFSG.

Einzige Tatbestandsmerkmale, die insoweit zu erfüllen wären, sind die (behördliche) „Inanspruchnahme“, die hier durch die Betriebsschließungen gegeben ist, und die Kausalität („infolge“) derselben für den dem Unternehmer entstandenen Schaden, die ebenfalls zu bejahen ist, dies jedenfalls grundsätzlich (im konkreten Einzelfall kann dies bei ohnehin vorhanden gewesener wirtschaftlicher „Schieflage“ des Unternehmens ein „Knackpunkt“ sein, an dem der Anspruch dennoch scheitert).

Ansprüche aus der genannten polizeirechtlichen Vorschrift werden indes regelmäßig wegen deren Subsidiarität verneint, wie sie für NRW in § 39 Abs. 3 OBG geregelt ist, der lautet:

„(3) Soweit die Entschädigungspflicht wegen rechtmäßiger Maßnahmen der Ordnungsbehörden in anderen gesetzlichen Vorschriften geregelt ist, finden diese Anwendung.“

Wie bereits aus dem Gesetzeswortlaut „Soweit (…)“ folgt, kann die Subsidiarität nur dann -und nur in dem Umfang- entgegengehalten werden, wenn -und soweit (!)- bereits eine speziellere Gesetzesregelung greift.

Eine solche könnte vorliegend -wie oben dargelegt- in § 65 IFSG bestehen, wenn -und soweit (!)- die dortige Regelung die Voll-Entschädigung des umsatzgeschädigten Betriebs beinhalten würde.

5. Fazit

Da der Gesetzgeber -wie wohl die gesamte Bevölkerung- einen Pandemie-Fall wie den Vorliegenden nicht ernsthaft „auf dem Schirm gehabt“ hat, wird man entweder durch Auslegung des § 65 IFSG oder der polizeirechtlichen Entschädigungsvorschriften (zB § 39 Abs. 1 lit. a OBG NRW) oder aber, wenn man danach zu einer Regelungslücke gelangte, in Analogie zu einer der oben vorgestellten Anspruchsgrundlagen einen Voll-Entschädigungsanspruch geschädigter Geschäftsinhaber bzw. Ladenbesitzer herzuleiten versuchen können, allerdings stets eingedenk des damit verbundenen erheblichen Prozessrisikos.

Wer indes als Geschädigter das Kostenrisiko scheut, wird darauf warten müssen, dass der Gesetzgeber eine entsprechende ausdrückliche Regelung schafft, was ungewiss ist, oder mit den jetzt vorhandenen „Schutzschirm“-Instrumentarien Vorlieb nehmen müssen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Olaf Möhring, Mönchengladbach/NRW



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