Nochmal zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden
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Heute Teil drei der Serie über Verfassungsbeschwerden.
21. Entscheidungen des BVerfG sind verbindlich
Normale Urteile der untergeordneten Gerichte gelten nur zwischen den Beteiligten. In anderen Prozessen können sie als Maßstab herangezogen werden, das Gericht kann aber auch von dieser Ansicht abweichen. Nicht einmal an die Entscheidungen der obersten Bundesgerichte (Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof usw.) sind für niedrigere Gerichte verbindlich.
Anders ist es beim Bundesverfassungsgericht. Dessen Entscheidungen „binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden“ (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Anerkannt ist ein sogenanntes „Normwiederholungsverbot“, nach dem der Bundestag ein für verfassungswidrig erklärtes Gesetz nicht einfach neu erlassen darf.
Umstritten ist aber, wann genau das gilt, wie weit also die Bindungswirkung der Urteile und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts reicht. Klar ist, dass nicht alles, was das BVerfG jemals in ein Urteil geschrieben hat, für alle Zeit und in jeder Beziehung gilt. Grundsätzlich wird man aber davon ausgehen können, dass die Auslegung der Grundrechte durch das BVerfG von den Fachgerichten zu beachten ist.
22. Manche Entscheidungen haben Gesetzeskraft
In besonderen Fällen stehen die BVerfG-Urteile Gesetzen gleich. Nach § 31 Abs. 2 BVerfG hat – als besondere Spielart der Bindungswirkung, siehe oben – „die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft“.
Dabei handelt es sich um Urteile und Beschlüsse, in denen es um die Rechtmäßigkeit von Gesetzen geht. Da diese ggf. ein Gesetz für nichtig erklären können, muss die Entscheidung selbst als Gesetz betrachtet werden.
23. Die erste Verfassungsbeschwerde wurde 1951 entschieden
Am 23. November 1951, acht Wochen nach Etablierung des Bundesverfassungsgerichts, wurde die erste Verfassungsbeschwerde entschieden. Wie so viele nach ihr wurde sie ohne mündliche Verhandlung verworfen. Der Kläger habe dieses völlig neue Rechtsmittel falsch verstanden und kein konkretes Grundrecht, sondern nur ganz allgemein die Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils und der angefochtenen Prozesskostenhilfebeschlüsse gerügt.
Die gesamte Entscheidung finden Sie hier: https://rechtshistorie.de/2018/12/15/die-erste-verfassungsbeschwerde-der-bundesrepublik/.
24. Das Bundesverfassungsgericht ist schneller als viele Fachgerichte
Während man bei vielen Gerichten jahrelang auf eine endgültige Entscheidung warten muss, ist das Bundesverfassungsgericht häufig recht schnell.
Zwar gibt es natürlich auch hier Verfahren, die fünf Jahre und länger brauchen, bis sie erledigt werden. Allerdings sind immerhin 85 bis 90 % der Verfassungsbeschwerden nach spätestens zwei Jahren entschieden.
Hierzu tragen natürlich insbesondere die zahlreichen Verfahrenserleichterungen bei, die das BVerfGG vorsieht – der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung, die Entscheidung durch die Kammer statt des Senates und auch das Absehen von einer Begründung.
25. Ab und zu kann es auch ganz schnell gehen
Soll es besonders schnell gehen und käme eine reguläre Entscheidung möglicherweise zu spät, um dem Bürger noch etwas zu nutzen, kann ein Eilverfahren beantragt werden. Dann trifft das BVerfG eine vorläufige Entscheidung.
Früher war dies bei nicht anerkannten Kriegsdienstverweigerern häufiger der Fall, denen man nicht zumuten konnte, trotz der Ablehnung vorläufig zur Bundeswehr einberufen zu werden. Heute spielt dies bspw. bei Demonstrationen eine Rolle, die zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden sollen.
Nicht selten führt dies aber dazu, dass die gesamte Verfassungsbeschwerde gleich inhaltlich entschieden und abgelehnt wird. Der Eilantrag hat sich dann erledigt.
26. Am meisten Beschwerden gibt es gegen zivilrechtliche Entscheidungen
Verfassungsbeschwerden sind in der Regel erst nach Durchschreiten des Rechtswegs zulässig.
In den meisten Fällen (ca. 40 %) geht es dabei um zivilrechtliche Sachverhalte. Weitere 33 % stammen aus dem öffentlichen Recht und wurden zuvor von den Verwaltungsgerichten (einschließlich Sozial- und Finanzgerichten) entschieden. Entscheidungen der Strafgerichte werden nur in ca. einem Viertel der Fälle (26 %) vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen.
Die restlichen Verfahren entfallen auf ganz spezielle Materien wie Urteile von Berufsgerichten oder die unmittelbare Anfechtung von Gesetzen ohne vorheriges Klageverfahren.
27. Auch andere Personen können vom Urteil profitieren
Hält das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz für verfassungswidrig, wird dieses aufgehoben. Diese Aufhebung wirkt aber nicht nur im konkreten Verfahren des Verfassungsbeschwerdeführers, sondern gilt allgemein.
Das bedeutet aber nicht, dass alle Urteile, die auf Grundlage dieses Gesetzes gefällt wurden, ebenfalls aufgehoben werden. Soweit diese nicht angefochten wurden oder bereits rechtskräftig sind, bleiben sie bestehen. Allerdings können diese Urteile dann nicht mehr vollstreckt werden, da die Vollstreckung neues Unrecht schaffen würde.
28. Im Strafrecht kann eine Wiederaufnahme erfolgen
Wurde jemand wegen einer Straftat verurteilt, deren Strafbarkeit später aufgrund der Verfassungsbeschwerde einer anderen Person für verfassungswidrig erklärt wurde, ändert dies zunächst nichts daran, dass diese Verurteilung bestehen bleibt.
Allerdings gibt es dann die – ungeschriebene – Möglichkeit der Wiederaufnahme dieses Strafverfahrens. Die Wiederaufnahme bedeutet, dass die Rechtskraft durchbrochen wird und das Verfahren neu durchgeführt werden muss.
Das verfassungswidrige Gesetz darf dann natürlich nicht mehr angewandt werden. Das Gericht muss sich in diesem Fall damit auseinandersetzen, ob nun ein Freispruch erfolgt oder die Verurteilung nach einem anderen Gesetz möglich bleibt.
Mehr über strafrechtliche Verfassungsbeschwerden: Zehn Fakten zur Verfassungsbeschwerde im Strafrecht
29. Das Bundesverfassungsgericht braucht eine Original-Vollmacht für den Anwalt
Als Vollmacht bezeichnet man die Genehmigung des Mandanten gegenüber dem Rechtsanwalt, für diesen zu handeln. Die Bevollmächtigung geschieht in der Regel mündlich und implizit, indem man sich einfach einig ist, dass der Anwalt das Mandat übernimmt. Sicherheitshalber wird diese Vollmacht aber häufig zusätzlich noch schriftlich erteilt, indem der Mandant ein Formblatt unterschreibt.
Die Vollmacht wird aber normalerweise nur vom Anwalt gegenüber dem Gegner versichert. In einigen Fällen übersendet man sie per Fax oder E-Mail.
Anders ist das beim Bundesverfassungsgericht: Dieses will immer die Originalvollmacht haben. Sie muss zwar nicht innerhalb der Frist für die Einreichung der Verfassungsbeschwerde vorliegen, aber jedenfalls nachher zugeschickt werden.
30. Ab und zu klagt der Staat auch gegen sich selbst
Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Der Bürger ist Berechtigter der Grundrechte, der Staat ist Verpflichteter. Das ist das klassische Prinzip der Grundrechte.
In besonderen Fällen haben aber auch staatliche Institutionen Grundrechte, die sie im Wege der Verfassungsbeschwerde wahrnehmen können. Dies betrifft insbesondere die Universitäten, aber bspw. auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wenn Gemeinden ihre Selbstverwaltungsrechte verletzt sehen, haben sie die Möglichkeit, eine sogenannte Kommunalverfassungsbeschwerde (§ 13 Nr. 8a BVerfGG) zu einzureichen.
In diesen Konstellationen erhebt also der Staat gegen den Staat eine Verfassungsbeschwerde.
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